URALTES HOLZ... Im fernen Ägypten ließen Pharaonen mächtige Pyramiden erbauen, in den Stadtstaaten der Sumerer stempelten Schreibkundige Keilschriftzeichen in Tonplatten und auf Kreta gossen Schmiede Kupfer und Bronze zu Schmuck und Werkzeug. Doch der Glanz dieser Kulturen täuscht; der Großteil aller damals weltweit fünfzig Millionen Menschen führte ein kurzes, entbehrungs- und arbeitsreiches Leben.
In den wald-, sumpf- und seenreichen Niederungen der heutigen Schweiz setzte sich eben der Ackerbau durch und bot endlich eine lückenlosere Lebensmittelversorgung. Die Menschen hausten in Seeufersiedlungen, bauten Hütten aus Astwerk, Lehm und Stroh. Männer spalteten Knochen zu Nähnadeln und Harpunen, schliffen Beile, Pfeilspitzen und Schaber aus harten Steinen. Frauen drehten mit tönernen Spinnwirteln Flachsfäden und woben grobe Kleider.
Wir schreiben Herbst des Jahres 2908 vor Christus. Am Rande eines Sumpfgebietes, 20 Kilometer östlich von Zürich, fällt eine Eichel auf tiefgründige Seekreide. Sie kann sich im Laub vor Wildschweinen und Eichhörnchen verstecken und entfaltet im folgenden Frühling die ersten Blättchen. Im Kampf um Licht und Nährstoffe arbeitet sie sich langsam hoch, legt Jahr um Jahr einen schmalen Holzring zu und gedeiht in vier Jahrhunderten zum stattlichen Baum. Jeden Frühling öffnet sie ein neues Heer gelappter Blätter, um durch die warmen Sommermonate am Kreislauf des Lebens teilzunehmen. Und jeden Herbst streut sie ihr Laub in die nebelverhangene Landschaft, bevor sie sich im winterlangen, weißen Traum verliert.
Fällte sie ein Sturm oder gab der weiche Untergrund nach? Um 2500 vor unserer Zeit zersplittert ihre greise Krone, der starke Stamm stürzt in den Moorast und zeigt nach Norden. Einige Vögel suchen abends verwirrt ihren angestammten Schlafplatz – und ziehen weiter; da stehen noch genügend andere Bäume. Wer will hier schon über den Tod des alten Riesen trauern? Und da sind noch die Winzlinge, freuen sich auf satte Mahlzeiten; sie graben ausgedehnte Gänge und bohren verborgene Höhlen in den gefällten Riesen. Doch währt ihr Fest nicht lange – der schwere Stamm sinkt tiefer und tiefer in den weichen Grund, Sumpfmoose hüllen ihn ein und über wenige Sommer hat ihn der schützende Schoß von Mutter Erde aufgenommen.
Die Menschen vermehrten sich und bauten aus Siedlungen Städte. Weltreiche entstanden und fielen wieder in sich zusammen. Neugierige und Denker rangen dem Leben Geheimnis um Geheimnis ab. Erfinder ertüfftelten Neues – wollten sie das Leben vereinfachen? Den Mitmenschen Gutes tun? Wussten sie nicht, dass jede Erleichterung neue Gefahren barg? Dass die Dauerhaftigkeit des eisernen Pfluges auch die Schärfe des Schwertes erhöhte? Weise verkündeten, Leuchttürmen gleich, wie der Mensch Frieden fände – und ihre Nachfolger bekriegten jeden, der ihre Sicht nicht teilte. Geld löste den Tauschhandel ab und mit wachsendem Reichtum vervielfältigten sich Habgier, Neid und Machtstreben.
Frühes Mittelalter. Schon ruhte der Eichenstamm drei Jahrtausende im Moor. Jedes Jahrhundert wuchs die Torfschicht um fünf Zentimeter, begrub den alten Riesen tiefer und tiefer. Alemannen besiedelten die Gegend, gründeten Weiler, deren Namen auf -ikon, -wil und -lingen endeten. Aber das feuchte Sumpf- und Waldgebiet zwischen Wetzikon und Bubikon umgingen sie, wählten besseren Boden. Das Leben blieb hart; zum Kampf ums tägliche Brot gesellten sich Seuchen, machthungrige Herrscher bauten gewaltige Zehntenscheunen und forderten Jünglinge als Soldaten für ihre Kriege. Ihre Willkür reizte das Volk. Es rottete sich zusammen, vertrieb seine Parasiten und bildete einen neuen Staat: Die Schweiz.
Während in fernen Ländern wagemutige Seefahrer nach neuen Verkehrswegen suchten und dabei unbekannte Kontinente entdeckten, spalteten Glaubensfragen die Macht der alten Kirche. Im nahegelegenen Rüti plünderten Bauern das Kloster und hoben es auf. Aber die Armut wich nicht; Mangel an Heizmaterial trieb die Menschen in die Sümpfe. Mit dem Stechscheit gruben sie Torfblöcke aus dem weichen Grund und legten sie zum Trocknen aus. Die alte Eiche blieb unentdeckt – glücklicherweise – Bauernhände hätten sie kurzerhand verfeuert. Solche Funde interessierten noch niemanden; bessere Lebensbedingungen, dafür arbeitete das Volk. Und die kamen nur zögernd. Zum bäuerlichen Handwerk gesellte sich die Heimweberei und besserte das schmale Einkommen auf.
Doch nicht lange und schon zerstörten wasserbetriebene Maschinen die Arbeitsplätze zu Hause; schufen neue in stickigen Sälen. Motoren, die Fahrzeuge trieben, und neuartige Waffen spornten unersättliche Herrscher an; sinnlos opferten sie Millionen von Menschenleben auf dem Altar der Macht.
War es Einsicht oder der Druck übermächtiger Bomben? Es folgten wieder ruhigere Zeiten. Der Kampf ums Überleben minderte, der Wohlstand mehrte sich. Allerdings litt nun jemand anders: die Natur. Weiler wuchsen zu Dörfern, Dörfer zu Städten. Förster bestückten Wälder mit schnell wachsenden Bäumen, Bauern legten Sümpfe trocken, Kettensägen bereinigten Felder von freistehenden Bäumen und Traktoren bestreuten sie mit Dünger aus großen Fabriken. Wege, Straßen und Autobahnen zerschnitten das Land und wo einst Schlüsselblume, Vergissmeinnicht und Klatschmohn grüßten, deckten Asphaltschichten Ackerkrume, fraßen Betonwüsten Weideland. Mehr und mehr auf Materielles ausgerichtet, degradierten Habenmacher Mutter Erde zum Rohstoff-Lieferanten.
Aber manche stemmten sich gegen offene und schleichende Zerstörung. Sie richteten Naturschutzgebiete ein, sorgten sich um Füchse und Hirsche, Schwalben und Zitronenfalter. Sie pflanzten Hecken für Zaunmeisen und Buchfinken, gruben Weiher für Frösche und Libellen. Auch im Ambitzgiried zwischen Wetzikon und Bubikon. Im Vorfrühling des Jahres 1985 hoben sie am Rande des Sumpfes einen Teich aus und stießen in zweieinhalb Meter Tiefe auf die Überreste eines alten Baumes. Den triefendnassen, pechschwarzen Stamm zersägten sie und hievten die Stücke heraus. Wie alt mochte er sein? Ein Mitarbeiter des forstwirtschaftlichen Versuchswesens in Birmensdorf, Ernst Schär, nahm eine Probe und überreichte sie dem Altersbestimmungs-Labor der Universität Zürich.
Der Revierförster, Werner Honegger, sicherte eine Stammscheibe. Sorgfältig getrocknet und fein geschliffen, wird sie heute im Gemeindehaus Wetzikon (Bahnhofstraße 167) von interessierten Besuchern bewundert. Den Rest brachte Roland Erne, ein Künstler aus dem Zürcher Oberland, in eine Sägerei. Eine Blockbandsäge zertrennte die Stammresten zu Brettern. Nachdem die Natur den alten Baum über vier Jahrtausende erhalten hatte, sollte er nicht im Sumpf vermodern. Er wollte daraus besondere Werken gestalten. Um die vielen Risse im Holz nicht weiter zu vermehren, ließ er die Bohlen sechs Jahre in einem Raum mit hoher Luftfeuchtigkeit langsam trocknen.
Das Radiokarbonlabor am Geographischen Institut der Universität Zürich gab der Mooreichenprobe die Nummer UZ 956. Unter der Leitung von Dr. W.A. Keller wurde das Holz datiert: 4‘230 ± 85 Jahre BP, lautete das Resultat. Da die Produktion von radioaktivem Kohlenstoff in der Atmosphäre gewissen Schwankungen unterliegt, existieren Korrekturkurven. Nach Neftel kalibriert erhält man für diese Eiche den Wert: 2900 bis 2500 v.Chr.
Wie funktioniert eigentlich diese Altersbestimmungsmethode?
Drei Isotope bilden das chemische Element Kohlenstoff (C): 99% 12C, ungefähr 1% 13C und 0,000‘000‘000‘001‘180% 14C. 12C und 13C sind nicht radioaktiv – im Gegensatz zu 14C, das durch kosmische Strahlen in der oberen Atmosphäre aus Stickstoffatomen (14N) entsteht. Das neue Element verbindet sich mit Sauerstoff zu radioaktivem Kohlendioxyd (CO2) und gelangt in den Kohlensäure-Zyklus der Biosphäre. Das heißt: Lebende Wesen nehmen ihn auf; Pflanzen, Tieren, Menschen. Durch den Tod wird dieser Kreislauf unterbrochen. Ab diesem Tag zerfällt der vorhandene Kohlenstoff mit einer Halbwertszeit von rund 5‘730 Jahren. Nach 11‘460 Jahren findet der Forscher noch einen Viertel der ursprünglichen Menge, nach 17‘190 Jahren einen Achtel, usw.
Dieser Zerfall bildet die Grundlage der 14C Altersbestimmung. Entdeckt von Willard Frank Libby, USA, im Jahre 1949, eröffnete die neue Methode ungeahnte Möglichkeiten, die Vergangenheit zu erforschen. Dafür ehrte die Wissenschaft Libby 1960 mit dem Nobelpreis.
Natürlich lassen sich damit nicht alle Materialien datieren. Nur Proben, die Kohlenstoff enthalten: Holz, Holzkohle, Torf, Knochen, Erde... Im ersten Schritt reinigt das Labor die Materialien. Salzsäure zerstört allfällig vorhandene Karbonate (Altersverfälschung: zu alt) Natronlauge extrahiert Huminsäuren (Altersverfälschung: zu jung). Danach bieten sich drei Wege für die Datierung an:
1. Die Umwandlung des Probenmaterials in Benzol: Szintillationszähler messen darin den Restgehalt an 14C. Damit bestimmte das Labor Zürich die Mooreiche aus Wetzikon.
2. Die Umwandlung des Probenmaterials in ein Gas (z.B. Methan): Messung in Proportionalzählröhren.
3. Die Umwandlung des Probenmaterials in reinen Kohlenstoff: Messung durch einen Tandem-Beschleuniger. Hier misst der Forscher nicht mehr die Restradioaktivität, sondern direkt das Verhältnis von 14C zu den 12C Atomen.
Ein mitgemessener international genormter Standard liefert als Vergleichswert das Jahr 1950 n.Chr. Er dient als Grundlage für alle Berechnungen. Von hier rührt auch das »BP« hinter allen 14C-Daten; es bedeutet »Before Present« (engl: »vor Heute«) und bezieht sich auf eben dieses Jahr 1950. Radiokarbondatierungen liefern keine exakten Daten. Immer muss ein Fehler einkalkuliert werden, der gewöhnlich 1 Sigma entspricht und hinter dem gemessenen Wert mit einem Plus/Minus erscheint; z.B. 3‘150 ± 65 Jahre BP. Das Alter dürfte in diesem Fall mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwo zwischen 3‘085 und 3‘215 Jahren liegen. 14C-Datierungen sind kostspielig, arbeits- und zeitintensiv. Gewöhnlich verstreicht zwischen Probenabgabe und Resultat ein halbes Jahr.
Wünscht man von einem Baumstamm ein genaueres Alter und zählt er mindestens 100 Jahrringe, hilft die Dendrochronologie weiter. Diese Methode misst das Jahrringmuster aus und gibt sie als Kurve wieder. Jede Jahrringbreite weicht von der anderen ein wenig ab, da Niederschläge, Klima und Umweltbedingungen von Jahr zu Jahr unterschiedlich ausfallen. So bildet beispielsweise ein trockenes, heißes Jahr, ebenso wie ein sehr kaltes, einen schmalen Jahrring. Mit Hilfe bestehender Chronologien (früher ausgewertete und zusammengesetzte Jahrringmessungen), versucht der Forscher, die neue Kurve einzupassen.
Die Chronologien weichen je nach Gegend und Holzart ab; man kann nicht Fichten mit Eichen vergleichen oder Messungen aus Nordamerika mit europäischen. Besteht aber eine passende Chronologie, lassen sich in vielen Fällen genaue Jahrzahlen ermitteln.
Die berühmteste Chronologie setzte Edmund Schulmann an der Universität von Arizona aus den ältesten lebenden Bäumen der Welt zusammen: den Borkenkiefern der »White Mountains« in Kalifornien (Bristlecone-Pine). Dann folgen mehrere Eichen- und Nadelholzchronologien aus verschiedenen Gebieten. Jeden Holzfund, den Wissenschaftler ausmessen und einpassen oder sogar anhängen können, bestärkt oder erweitert bestehende Chronologien.
Matthias Seifert, vom Büro für Archäologie der Stadt Zürich, untersuchte 1986 die Eiche von Wetzikon. An zehn verschiedenen Radien maß er die Jahrringe aus und verglich die 384-jährige Kurve im Computer mit bestehenden Chronologien. Das erlaubte, die »Geburtsstunde« des Baumes zu bestimmen (2907 v. Chr.).
Der Wissenschaft bedeuten fossile Hölzer Fundgruben. Wer in ihnen zu lesen versteht, dem berichten sie manch Wissenswertes über die Vergangenheit. Nicht nur, aus welcher Zeit sie stammen und welche Baumarten damals die Landschaft besiedelten, sondern auch, wie sich das Klima änderte.
Speziell Mooreichenholz untersuchten Forscher ausgiebig. Sie stellten fest, dass seine Dichte (spezifisches Gewicht) häufig im Bereich der heutigen Eiche liegt; bei 0.6. Das trifft auch auf die besser erhaltenen Teile unsere Mooreiche aus Wetzikon zu, die die Eidgenössische Materialprüfungsanstalt unter die Lupe nahm. Vereinzelt können alte Hölzer allerdings auch schwerer sein: Wenn die Umgebung durch die Jahrtausende Mineralstoffe in die Holzzellen ablagerte. Trotz hohem Alter handelt es sich aber nie um versteinertes Holz; Mooreiche lässt sich so gut bearbeiten wie heutige Eiche.
Weitere Werte aus der Wissenschaft: Die lange Lagerung vermindert die Druckfestigkeit (bei den meisten Proben um 30% bis 40%) ebenso wie die Zugfestigkeit. Dafür bleibt nach der Verbrennung mehr Asche zurück; statt zwischen 0.16% und 0.7% wie bei heutiger Eiche finden sich Werte zwischen 1% und 17%. Die Wetzikoner Mooreiche besitzt einen Aschengehalt von 1.05%.
Der wohl wichtigste Wert für uns ist das Schwindverhalten – die Auswirkung der Umgebungsfeuchtigkeit auf das Holz; Quellen bei hoher, Schwinden bei niederer Feuchtigkeit. Langes Lagern beruhigt gewöhnlich die meisten Hölzer. Dann müssten Jahrtausende Wunder wirken! Leider nein: Die meisten Mooreichen weisen leicht höhere Werte auf als heutige Eiche und stellen damit besondere Ansprüche an den Flötenbauer.
Die Farben fossiler Eichen variieren; von ganz hell bis tiefschwarz – abhängig von der Lagerung. In Lehm eingepackt, bleibt sie unverändert erhalten. Kiesgrubenfunde weisen häufig einen warmen, dunkelbraunen Farbton auf und Moorwasser beizt Eichen gerne anthrazitschwarz. Diese extreme Verfärbung verdankt das Holz dem im Wasser gelösten Eisen – es verbindet sich mit der vorhanden Gerbsäure zu einem unlöslichen, schwarzen Farbkomplex.
Auch der Erhaltungszustand des Holzes hängt mehr von der Lagerung als dem Alter ab. Besonders Nässe mit Sauerstoffzutritt gefährdet: Mikroorganismen können ungehindert die Holzbestandteile abbauen. Ideale Bedingungen bieten hohe Trockenheit (Wüstengebiete wie die Sahara) oder konstante Nässe ohne Luftzutritt. Sumpfgebiete eignen sich doppelt, da die sauren Moorsäfte Kleinstlebewesen den Aufenthalt vergällen.
Nicht nur den Wissenschaftler, auch manchen Schreiner fasziniert altes Holz. Leider finden sich solche Kostbarkeiten selten. Nur dann und wann entlässt Meister Zufall einen Stamm aus grauer Vorzeit ans Tageslicht. Oft schlecht erhalten, zerfällt er rasch am Rand einer Baugrube oder weil niemand seinen Wert kennt, landet er in einer Deponie. So verstreichen oft Jahre bis wieder ein Fund wie der von Wetzikon den Weg in eine Holzwerkstatt findet.
Vor Jahrzehnten importierten Holzhändler Mooreichenstämme aus dem Ausland, u.a. Russland. Um die seltenen und teuren Stücke zu strecken, schnitten sie mächtige Maschinen zu Furnier. Hauchdünn verkleidete es dann – solange diese Modewelle währte – teure Büroeinrichtungen in Chefetagen oder Bankschalterhallen.
Auch Roland Erne brachte einen Stammteil ins Furnierwerk Lanz von Rohrbach. Zwar würden Schreiner darüber die Nase rümpfen: Stets wechselnd durchziehen unzählige Risse die Furnierbahnen – damit lassen sich keine Möbel bauen. Aber kunsthandwerkliche Arbeiten; Erne gestaltet mit dem alten Holz Intarsien. Oder eben die Schatullen, die die Mooreichenflöten schützend beherbergen. Er schätzt den Furnier besonders: außergewöhnlich seine Herkunft, leicht zu bearbeiten, schwarz wie Ebenholz und doch nicht aus exotischen Fernen!
Er experimentierte mit dem Massivholz. Nur mit Mühe ließ sich ein kleines Wandschränkchen zimmern; Risse und Risschen durchziehen die alten Bretter. So fertigt er damit vor allem Kunstobjekte, die »Brücken schlagen sollen zwischen gestern und heute, Vergangenheit und Gegenwart« – zumeist tiefsinnige Werke mit eigener Ausstrahlung.
Musik fasziniert Roland Erne so sehr wie die anderen Gebiete der Kunst. Darum verwundert seine Idee nicht: Könnte man aus dem alten Holz auch Instrumente bauen? Blockflöten zum Beispiel? Er blätterte im Telefonbuch und stieß auf Gerhard Huber in Horgen. »Nein, Eiche ist kein Flötenbauholz; für den empfindlichen Luftkanal zu grobporig.«
Trotzdem – vom ungewöhnlichen Material so fasziniert wie der Künstler – wollte Huber einen Versuch wagen. Im März 1988 erhielt er zwei Kanteln Mooreichenholz. Mit Geduld, Sachkenntnis und weiterer Forschungsarbeit gelang es ihm, innerhalb eines Jahres daraus zwei Sopranflöten zu bauen. Wie, wenn überhaupt, würden sie klingen?
Auf den letzten Februartag 1989 lud er Erne ein: Angenehm überrascht lauschten die beiden dem warmen Klang des alten Holzes. Bis Ende Jahr entstanden aus weiteren Kanteln zwei Altblockflöten. Auch sie vermochten zu überzeugen. Scherzhaft fand das Team, diese Instrumente seien allerdings keine Altflöten mehr, sondern »Uraltflöten«. Ein Berufsmusiker aus Deutschland spielte die Instrumente einige Wochen. Auch sein Urteil überraschte angenehm. Sollte man also den Versuch wagen, und eine Serie herstellen? Für Gerhard Huber war allerdings klar: Noch musste er weiterforschen, um den Klang der Instrumente zu verbessern. Trotzdem richtete Erne das Holz für die erste Serie und Hubers Team durchbohrte und überdrehte die Kanteln.
Jahre zerrannen. Meist opferte Gerhard Huber karge Freizeit, um das Projekt Mooreichenflöten weiterzuverfolgen. In kleinen Schritten näherte er sich dem Ziel. Endlich, 1996 der Durchbruch. »Baut mit der Mooreiche historische Kopien!« rieten jetzt Fachleute. Aber den Künstler begeisterte der Plan nicht: Das Holz zählte nicht vier Jahrhunderte sondern vier Jahrtausende! Da müsste man schon an »prähistorische« Instrumente denken.
Roland Erne wälzte Literatur: Ägyptische Wandmalereien von Säulen inspirierten ihn zu einer grundlegend neuen Form. Damit könnte man eine Brücke über die Jahrtausende schlagen. Er drechselte in seiner Werkstatt einen Prototyp und suchte den Flötenbauer auf. Gerhard Huber war überrascht! Die Form sprach ihn an – ein Novum in der langen Geschichte der Blockflöte. Ein zufällig anwesender Berufsflötist musterte die ausgefallene Form nicht weniger begeistert. Er ließ sich gleich eines der Instrumente reservieren.
In geduldiger Arbeit bereinigte Gerhard Huber den Plan; da eine Änderung, dort eine Anpassung. Sein Team gab die Maße dem CNC-gesteuerten Drehbank ein; aus Birnbaumholz entstanden erste spielbare Versuchsflöten. Noch viele Stunden Entwicklungsarbeit waren nötig; Intonation, Form des Windkanals, kleine Änderungen, Verzierung des Kopfes... aber im Sommer 1997 durfte das Team die letzten Vorbereitungen abschließen. Nun konnte die Produktion beginnen.
Das Interesse von Musikern, die zufällig vom Experiment hörten, überraschte immer wieder. Trotz voraussichtlich hohem Preis, ließen sich etliche ein Instrument reservieren. Nur schade: Die Auflage würde bescheiden sein. Denn wenig Holz stand zur Verfügung. Wohl lieferte der alte Stamm viele Bretter, doch beim Auftrennen zeigte sich, dass 95 Prozent der Kanteln unbrauchbar waren – Risse im Holz. Selbst die übrigen sind selten makellos; beim Drehen müssen einzelne Werkstücke ausgeschieden werden, da verborgene Spältchen zu größeren Defekten führen. Gerhard Huber stellt die Instrumente nur nach und nach fertig, darum ist die genaue Auflage noch ungewiss. Er rechnet mit ungefähr 50 Sopran- und 20 Altblockflöten.
Huber wie Erne hegen den Wunsch, dass die Mooreichen-Instrumente nicht bei Spekulanten landen oder in Sammler-Vitrinen verstauben. Sie sollen Musikern gehören, die sie zu schätzen und pflegen wissen und dazu eine lebendige Beziehung besitzen.
Wer sich intensiv mit dem Bau von Holzblasinstrumenten befasst, erahnt, dass erstklassige Blockflöten überdurchschnittlich viel Wissen, Können und Erfahrung erfordern. Man würde es kaum glauben, aber ausgerechnet dieses Instrument ist aus physikalischer Sicht eines der kompliziertesten. Grundlagenforschung wurde zwar betrieben; aber die Vorgänge bis ins Detail zu verstehen, setzt enorme finanzielle und Fachanforderungen voraus.
Allein bei der Wahl der Maße, Winkel und Formen im Anblasbereich existieren Millionen von möglichen Bauvarianten. So stützen sich die Hersteller auf bewährte, überlieferte Maße, die sie meist nur geringfügig ihren Anforderungen anpassen.
Ein weiter Weg kennzeichnet den Werdegang vom Baum zum fertigen Instrument. Über hundert Arbeitsschritte lassen aus dem Geschenk der Wälder wohlklingende Blockflöten entstehen. Die in Kanteln zersägten Stämme müssen erst langsam und sorgfältig trocknen. Danach erhalten sie eine zentrale Bohrung, werden rund gedreht und verdichtet. Nachbohren und ausreiben verleihen dem werdenden Instrument die Innenmaße. Die Außenform verdankt die Flöte der CNC-gesteuerten Drehbank – ohne ihre perfekten Schneidbedingungen und hohe Präzision wären Instrumente aus diesem Holz kaum denkbar. Bohren der Grifflöcher, Schneiden von Labium und Windkanal, Einpassen des Blockes, Intonation – noch manche Station säumt den Weg. Und zwischen allen Etappen liegen Ruhepausen, damit das Holz sich den neuen Umständen anpassen kann.
Die heute zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmittel ermöglichen den Bau präziser Blockflöten. Nach wie vor aber dominiert die Handarbeit; bei Konzertinstrumenten macht sie 90 bis 95% der Herstellungszeit aus.
Und nichts ersetzt das feine Gespür und Gehör des Flötenbauers, damit das Instrument am Ende nicht nur schön aussieht, sondern auch gut klingt. Eine zentrale Bedeutung besitzt der Windkanal. Gerhard Huber wählte eine gewölbte Variante, dem Charakter historischer Instrumente entsprechend.
Für die Blöcke kommt auch bei diesen Mooreichenflöten nichts anderes als die üblicherweise verwendete »Zeder« aus Nordamerika (Juniperus sp.) in Frage. Nicht nur lässt sie sich gut bearbeiten und ist pilzresistent – in der wechselnd feuchten Umgebung des Windkanals quillt und schwindet dieses Holz kaum. Ein wichtiger Faktor, da winzigste Änderungen den Klang einer Flöte beeinflussen; schon 0.02 bis 0.05 Millimeter Abweichung im heikelsten Bereich genügen, um eine Flöte unspielbar zu machen.
Jedes Instrument ziert eine andere Schnitzerei im Kopfstück. Sie macht es zum unverwechselbaren Individuum. Der Künstler – an Unikate gewohnt – schlug Huber vor, dass er auch aus den Mooreichenflöten unverkennbare Einzelstücke baut. Erneut griff Erne auf das Erbe der alten Ägypter zurück: Hieroglyphen würden den Blockflöten nicht nur eine Dekoration, sondern auch einen eigenen Namen verleihen.
Doch wie die komplizierten Formen auf den Kopf übertragen? Bemalen, einlegen, fräsen, schnitzen? Nach einigen Prototypen stand fest: Das musste ein professioneller Holzbildhauer einschnitzen; einer, der sich auf feinste Details versteht. Erne konnte dazu den bekannten Modelschnitzer Hans Neff im appenzellischen Urnäsch gewinnen.
Auch für ihn stellte diese Aufgabe eine Herausforderung dar; nicht von den Motiven her, sondern vom Holz. Gewohnt an Birn- und Nussbaum, bietet die grobporige Eiche für feine Details erhebliche Schwierigkeiten.
Königsnamen schrieben die Ägypter in so genannte Kartuschen. Ägyptologen vermuten, dass dieses dekorative Element ursprünglich ein Knotenamulett war – der so genannte Schen-Ring – ein doppelt aus Seil gelegter Kreis, das den umschlossenen Namen nach innen schützend, nach außen Übel abwehrend umschlang. Längere Namen führten zur Ovalform der Kartusche. Ab der 18. Dynastie ließen sich verschiedene Herrscher auch ihre Särge in dieser Form bauen.
Härte und Dichte des Holzes bestimmen bekanntermaßen die Klangfarbe. Da Eiche weder mit Grenadill noch Rosenholz, Buchsbaum oder Palisander mithalten kann, besitzen die Mooreichen-Blockflöten keinen brilliant-harten, sondern eher weichen, warmen und ausgeglichenen Klang.
Trotz aufwendiger Entwicklung und sorgfältigster Bearbeitung eignen sich diese Instrumente nicht für andauernden Gebrauch. Bei allen Blockflöten ist die Ansammlung von Feuchtigkeit kritisch. Sie kann den Klang verändern und unter schlimmsten Umständen zu Rissen führen. Das gilt vermehrt für die Mooreichen-Instrumente.
Ursprünglich hatte Gerhard Huber Bedenken: »Ein Musiker muss sich vorbehaltlos auf seine Instrumente verlassen können. Was nützt es, wenn er eine Blockflöte kauft, die zwar konzertanten Ansprüchen genügt, aber die er nie bei einem Konzert spielen kann, da es länger als eine Stunde dauert?« Ein Berufsflötist milderte seinen Konflikt: »Kein Problem! Meine besten Instrumente spiele ich gewöhnlich nie mehr als eine Stunde am Tag. Und in einem Konzert ließe ich einfach ankünden, dass ich den dritten Satz des Werkes Sowieso auf einer Blockflöte aus viereinhalbtausend Jahre altem Holz vortrage.«
Die Mooreichen-Instrumente benötigen ähnlich sorgfältige Pflege wie jahrhundertealte historische Blockflöten. Das raten Fachleute:
• Schützen sie Ihr Instrument vor extremen Temperaturen und vor zu geringer Luftfeuchtigkeit (stark beheizte Räume).
• Legen sie besonderen Wert auf sorgfältiges Einspielen. Das Holz muss sich unbedingt langsam an die feuchtwarme Atemluft gewöhnen können. Spielen sie die erste Woche täglich nur 10 Minuten darauf und steigern sie die Zeit innerhalb von zwei Monaten auf 30 Minuten.
• Wärmen sie das Instrument vor jedem Spiel behutsam auf. Halten sie dazu das Kopfstück eine Weile in der Hand oder am Körper. (Niemals auf die Heizung legen.)
• Spielen sie es nach der Einspielzeit nie länger als eine Stunde am Tag.
• Wenn sich im Windkanal Kondenswasser bildet (heiserer Klang): Nicht zurückziehen sondern das Instrument durchblasen (legen sie dazu einen Finger quer über die Oberkante des Labiumfensters). Die nachfolgende Feuchtigkeit kann so ungehindert abfließen.
• Nach dem Spiel blasen sie den Windkanal durch, wischen Kopf-, Griff- und Fußstück mit dem Holzstab und einem Seidentuch vorsichtig aus und lassen die Teile an der Luft trocknen. Bewahren sie die Mooreichen-Blockflöte zerlegt auf, um die Korkverbindung zu entlasten.
• Ölen sie ihr Instrument alle drei bis sechs Monate innen und außen leicht ein. Verwenden sie dazu Raps- oder unser Blockflötenöl. Vorsicht: Block und Windkanal dürfen nicht mit Öl in Berührung kommen.
• Die heikelste Stelle liegt im Labialbereich. Berühren sie sie nie mit einem harten Gegenstand; eine Beschädigung kann das Instrument unbrauchbar machen!
Wir stellen die Instrumente nach und nach fertig. Interessenten müssen somit bis zu einigen Monaten Geduld haben. Jedes Instrument wird, falls gewünscht, in einer Intarsien-Holzschatulle ausgeliefert; mit einem Zertifikat zu seiner Echtheit, das auch die individuelle Hieroglyphe erklärt.
Interessiert an einer exklusiven, limitierten Mooreichen-Blockflöte? Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Rufen Sie uns an oder nehmen mit uns Kontakt auf. Die Geschichte der Mooreiche als PDF Datei >
Diese spezielle Blockflöte wurde aus dem Stamm einer beinahe 6'600 Jahre alten Mooreiche hergestellt.
Mooreichen sind nicht etwa besondere Baumarten, sondern ganz normale Eichen, die aber vor langer Zeit nach ihrem Absterben im Moor versanken und dadurch vor der Verrottung geschützt wurden. Hin und wieder findet man solche Stämme beim Aushub einer Baugrube. Seltener auch beim Abbau von Kies, wenn der Stamm unter dem Grundwasserspiegel lag oder durch eine Lehmschicht von der Luft abgeschlossen war.
Diese Mooreiche kam im Raum Oberfranken (Bayern) in einer Kiesgrube zum Vorschein und gelangte als über 14 Meter langes Stammstück mit einem Volumen von über 6 Kubikmetern in die Hände des örtlichen Sägewerkes Ziegelhöfer in D-96149 Breitengüßbach. Die Spezialisten der Firma erkannten rasch den Wert dieses außergewöhnlichen, fossilen Materials, das bei ihnen als „Block HZ.200-710“ auf seine zukünftige Verwendung harrte.
Wie alt könnte dieses Holz wohl sein? Da solche Daten auch für die Wissenschaft von Wert sind, wurde es datiert. Herr Schöpplein, Geschäftsführer der Firma, sandte ein Fragment davon zur Abteilung Holzbiologie der Universität Hamburg. Die Wissenschaftlerin Sigrid Wrobel datierte dort am 16. Oktober 2007 die Probe dendrochronologisch und fand für den untersuchten Abschnitt mit den 172 Jahrringen die Daten 4‘621 bis 4‘450 vor Christus. Der gesamte Stamm wies einen Durchmesser von 1.27 Meter auf und dürfte somit etwa 470 Jahrringe gezählt haben – das heißt, die Eiche keimte um 4‘900 vor Christus.
Rasch fand sich ein Interessent für einen Teil des Stammes: Die Firma »Nordbayerische Holzindustrie« in Unsleben schnitt ihn zu Furnier auf und erhielt dabei mehr als 3000 Quadratmeter Furnier. Sie konnte den ganzen Posten nach Belgien verkaufen, wo er im Möbelbau Verwendung fand. Und den Rest erhielten wir als Flötenbau-Atelier angeboten.
Nach sorgfältiger Prüfung eines Holzmusters gingen wir das Wagnis ein, den kostspieligen Kauf zu wagen. Die Firma Ziegelhöfer sägte das Stammstück in Bohlen und palettierte diese für den Transport in die Schweiz. Hier wurden sie sofort in Kanteln aufgetrennt und dann über einen langen Zeitraum ganz langsam getrocknet, um die Rissbildung so gering wie möglich zu halten. Denn fossile Hölzer sind äußerst empfindlich, da ihre innere Struktur bereits zu einem Teil zersetzt ist.
Die Geduld jedoch lohnte sich. Das feinjährige Holz mit der wunderschönen, innen tiefdunkelbraunen und außen anthrazitschwarzen Farbe, erwies sich nach dem Trocknen als weiter bearbeitbar.
In kleinen, besonders sorgfältigen Schritten entstand ein erstes Testinstrument. Kaum fertig, gelangte es in die Hände einer Blockflötenlehrerin, die zufällig an diesem Tag unseren Betrieb besuchte. Sie war vom warmen, ganz besonderen Klang so fasziniert, dass sie das Instrument nicht mehr hergeben wollte. Eigentlich planten wir, diese erste Altflöte noch näher zu testen – aber wir brachten es nicht übers Herz, ihr den Kauf zu verweigern.
Inzwischen sind weitere Instrumente mit barocker Außenform entstanden und haben ihre Liebhaber gefunden. Manche sagen, die Verbindung zur Vergangenheit mache den Klang so außergewöhnlich – vielleicht haben sie Recht...
Interessiert an einer exklusiven, limitierten Blockflöte aus deutschem Mooreichenholz? Das Instrument stellen wir in aufwändiger und sorgfältigster Handarbeit her. Die Klangfarbe von Mooreiche ist geschmeidig und zierlich. Bei Fragen rufen Sie uns gerne an oder schreiben Sie uns.
Noch ein Wort zur Behandlung: Selbstverständlich gelten alle Pflegeanweisungen für Blockflöten auch für diese Instrumente! Da das uralte Holz jedoch besonders empfindlich ist, raten wir, diese Flöte speziell sorgfältig einzuspielen, und danach pro Mal nicht zu lange zu benutzen. Schützen Sie es außerdem unbedingt vor starken Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen.